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Verfassungsfeind, Goldfisch, beides? Zur aktuellen Überwachungsdiskussion

Grundrechte wie das Brief- und Fernmeldegeheimnis sind wichtige Grundlagen unserer Freiheit in einem demokratischen Staat. Das gilt auch dann, wenn die populistische Variante so oder so ähnlich lautet: „Ich will frei kommunizieren können, aber Menschen, denen ich zukünftige Verbrechen zutraue (AusländerInnen, AnhängerInnen anderer Religionen, jene mit anderen politischen Ansichten) sollen von der Polizei abgehört werden dürfen.“

Vor kurzem nahm die Polizei in Wien drei junge Islamisten fest, wegen ihrer angeblichen Planung eines Anschlags auf die Love Parade. Dies geschah mit klassischer Polizeiarbeit, Aufmerksamkeit für Details, HinweisgeberInnen in der Szene und so weiter. Was an den Vorwürfen dran ist, werden wir erfahren, wenn — falls — es zu einer Anklageerhebung und zu einem Prozess kommt. Viel zu oft haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Vorwürfe sich nicht ausreichend für eine Anklage erhärten — aber das ist für die Öffentlichkeit mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne schon egal.

Im Zuge der Bekanntgabe der Verhaftung erhob der zuständige Polizist die Forderung, die Behörden mit neuen Möglichkeiten zur Überwachung von Verdächtigen (Personen, die die Polizei als verdächtig ansieht) auszustatten, um zukünftige Terroranschläge zu verhindern. (In einem Nachbarstaat wird schon gegen junge KlimaaktivistInnen wegen angeblicher Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt, nur für den Kontext.)

Es sollen also folgende zwei Aussagen in einen logischen Zusammenhang gebracht werden:

1. Die Polizei hat mit ihren bestehenden Mitteln einen Terroranschlag verhindert.

2. Die Polizei braucht neue Mittel, um zukünftige Terroranschläge zu verhindern.

Wer darin keinen Widerspruch, sondern einen kausalen Zusammenhang sieht, hat sich für die polizeiliche Pressearbeit qualifiziert, und vielleicht auch als rechter Politiker.

Bundestrojaner

Die geforderte Maßnahme wäre konkret die Einführung eines „Bundestrojaners“, einer Software, die auf den von den verdächtigten Personen verwendeten Endgeräten (PC, Handy, Tablet, Smartwatch, …) eingebracht wird und die Kommunikation in verwendbarer Form (also unverschlüsselt) ausleitet.

In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht 2008 nicht nur entschieden, dass so eine Software als allgemein verfügbares Mittel der Strafverfolgungsbehörden nicht in Frage kommt, sondern in der Entscheidung sogar ein neues Grundrecht auf die Integrität persönlicher informationsverarbeitender Systeme etabliert.

Historisch waren Ausnahmen vom Fernmeldegeheimnis auch damit rechtfertigbar, dass man gezielt und an zentraler Stelle (in der Telefon-Vermittlung) die Gespräche ausleiten und abhören konnte. Dank Edward Snowden wissen wir seit zehn Jahren (und vermutet wurde es schon viel länger), dass diese Möglichkeit massiv missbraucht wurde. Spioniert wurde ohne Anlassfall oder konkreten Verdacht, ohne richterliche Zustimmung, und nicht nur für die Vermeidung von Straftaten, sondern etwa auch für Wirtschaftsspionage.

Seither hat sich die Kommunikationsinfrastruktur stark gewandelt. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Kommunikationsinhalten wie in Whatsapp und Signal ist die Norm geworden. Das bedeutet: Solange die NutzerInnen die Kontrolle über ihre Endgeräte haben, ist das Kommunikationsgeheimnis mit starken mathematischen (kryptografischen) Methoden geschützt, deren Entschlüsselung auch für staatliche Geheimdienste nur schwer oder nicht machbar ist. Die Inhalte sind außerhalb der Endgeräte nicht zugänglich — und genau diese rücken damit in den Fokus der Überwachungsfantasien.

Schon vor zwanzig Jahren, vor dem „Online-Durchsuchung“-Urteil, wurde die Thematik diskutiert, zum Beispiel auch unter dem Einfluss islamistischer Anschläge. Das war eine Zeit, in der dafür völlig ungeeignete, nicht regelmäßig aktualisierte, ohne Sicherheitsbewusstsein entwickelte Windows-Versionen auf PCs mit Internetverbindung die zu überwachenden Kommunikationsmittel waren. Die „bösen“ haben damals ja schon E-Mail und das neumodische Zeug verwendet, die „guten“ PolitikerInnen mit den Überwachungswünschen aber nur Faxgeräte wie im vorigen Jahrhundert. So konnten in der populistischen Diskussion Computernutzende als „andere“ und als Risikofaktor dargestellt werden.

Geräte unter Kontrolle

Heute nutzen wir aber ganz andere Geräte zur Kommunikation. Die dominanten Handy-Betriebssysteme Android und iOS arbeiten mit der Trennung einzelner Applikationen, klaren Rechte-Einschränkungen und verschlüsseln den Speicher des Geräts. Sie wurden mit Fokus auf einfach bedienbarer Sicherheit entwickelt. (Das in Österreich berüchtigte Thomas-Schmid-Handy konnte ja auch nicht geknackt werden, die Informationen stammen aus einer vergessenen unverschlüsselten Sicherung auf einer externen Festplatte.) Mit dem leicht einsehbaren Schweizer Käse des Durchschnitts-PCs vor 20 Jahren haben sie nichts zu tun. Das Problem ist also das Einbringen des „Bundestrojaners“ am sicheren Endgerät. Hier springen spezialisierte, eher dubiose Unternehmen (zu einem solchen gehört Ex-Bundeskanzler Kurz) ein, die Behörden in Demokratien und Diktaturen und allen anderen, die genug für ihre Dienste zahlen, eben diese Möglichkeit versprechen und die Überwachungssoftware gleich mit dazu verkaufen.

Entdeckte und offen bekanntgemachte Sicherheitslücken werden heutzutage schnell geschlossen, gute Hersteller spielen sie auch zügig auf die Endgeräte aus. Ohne diese Lücken wird aber das Geschäftsmodell der genannten Firmen gefährdet. Sie — und damit die Behörden, die ihre Dienste nutzen wollen — sind also daran interessiert, solche Lücken am Schwarzmarkt zu kaufen und geheimzuhalten. Dass andere Kriminelle von den Lücken wissen und sie ausnutzen, ist für sie ein notwendiges Übel. Wir alle, als Gesellschaft, als Einzelpersonen und als Organisationen und Unternehmen sind die Geschädigten. Unsere Systeme bleiben länger als notwendig unsicher, wir sind nicht nur den Staatskriminellen mit ihren verfassungswidrigen Überwachungswünschen ausgeliefert, sondern auch gewöhnlichen Kriminellen mit ihrem Interesse an unseren Bankdaten, privaten Daten, Fotos, politischer Kommunikation und anderen Informationen, die wir zu Recht unter unserer Kontrolle haben und behalten wollen.

Wer kann sich diesem Problem mit technischen Mitteln am besten, wenn auch nicht vollständig entziehen? Einerseits natürlich die Menschen mit den besten technischen Kenntnissen, andererseits aber auch Gruppen, die wissen, dass sie potenzielle Ziele der Überwachung sind und deswegen bereit sind, spezielle Software, exotische Endgeräte zu verwenden und andere Maßnahmen zu setzen, um mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen die auf den Massenmarkt gerichtete Überwachungsinfrastruktur immun zu sein. Ein Großteil der ahnungslosen Bevölkerung wiederum ist schutzlos ausgeliefert. Das ist genau andersherum als wir es eigentlich haben wollen. Wie immer wird die Polizei den Weg des geringsten Widerstandes gehen: Jugendliche KlimakleberInnen sind leichte Beute, echte TerroristInnen bleiben unterm Radar.

Gedächtnis wie ein Goldfisch

Wir sind natürlich dafür, dass religiöser Extremismus eingedämmt und sanktioniert wird — und wünschen uns das auch für rechtsextreme Gewalt. Das sind jedoch nicht die einzigen Gesichtspunkte. Wir treten auch für Menschenwürde und Grundrechte ein. Das Kommunikationsgeheimnis ist ein wichtiges Grundrecht sowohl für die Menschenwürde als auch für den Schutz anderer Grundrechte. Die sicheren Kommunikationsmittel, die wir in unseren Demokratien als selbstverständlich erachten, schützen auch die Kommunikation unserer MitstreiterInnen in Diktaturen, aber auch junge Menschen mit Ansichten, die ihren Eltern nicht gefallen, und auch die Vereinsaktivitäten von Ottilie und Otto Normalverbraucher. Wenn wir sie aktiv schwächen, gefährden wir damit das Leben dieser AktivistInnen und die Interessen vieler anderen.

Diese Diskussion ist mehr als 20 Jahre alt. Die juristischen, grundrechtlichen Aspekte sind mehrmals behandelt und entschieden worden. Die technischen Implikationen und die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch solche Systeme werden seit Jahren diskutiert. Das alles zu ignorieren und im Jahr 2023 öffentlich einen Bundestrojaner zu fordern zeugt von weitestgehender Ignoranz der jüngeren Geschichte, der öffentlichen Diskussionen und letztendlich der Realität.

Nicht nur als PiratInnen, sondern als StaatsbürgerInnen und Menschen müssen wir also gegen diesen Unsinn protestieren und aufstehen. Die neuen Überwachungsvorschläge sind wie gezeigt a.) nicht schlüssig argumentiert, b.) nicht wirksam und c.) aktiv schädlich für die Gesellschaft. Drei gute Gründe, dagegen zu sein, wenn die Verfassungsfeinde im Staatsapparat (mehrfach höchstgerichtlich erkannt) immer und immer wieder die gleichen illegalen Maßnahmen wollen.

 

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